Zürcher Betriebe schreiben Stellen aus, ohne dass sie tatsächlich Bewerbungen entgegennehmen wollen. Für den Kanton ist das kein Problem. Für Bern schon
Vertrauliche Abmachungen zwischen der Volkswirtschaftsdirektion und Zürcher Unternehmen sorgen beim Seco für Unruhe. Ein Lehrstück über Bürokratie zu Zeiten des Fachkräftemangels.

Die Schweizer Wirtschaft weiss kaum noch, woher sie ihre Fachkräfte nehmen soll. Im Kanton Zürich ist die Arbeitslosigkeit auf 1,7 Prozent gesunken, das ist der tiefste Stand seit über zwanzig Jahren.
Die Betriebe dürfen ihre vielen freien Stellen aber nicht einfach nach Gutdünken besetzen. Für rund vierzig Berufe, von Dachdeckern über Marketingfachleute bis zu Schauspielern und Philosophen, gibt es einen administrativen Hürdenlauf: die Stellenmeldepflicht.
Die Regel gilt grundsätzlich für Berufe mit einer Arbeitslosigkeit von über fünf Prozent. Freie Stellen müssen zuerst den kantonalen Behörden gemeldet werden. Auf einer Plattform im Internet können dann während fünf Tagen zuerst nur beim Arbeitsamt registrierte Stellenlose die Stellenausschreibung sehen. Sie sollen so einen Informationsvorsprung erhalten und sich als Erste bewerben können.
Erst nach Ablauf der Wartefrist darf die Stelle auch anderweitig ausgeschrieben und vergeben werden. Betriebe, die sich nicht an die Regeln halten, riskieren bis zu 40 000 Franken Geldstrafe.
55 Stunden pro Woche, 3300 Franken Lohn
Mit der Stellenmeldepflicht soll die Masseneinwanderungsinitiative umgesetzt werden – die Idee ist, dass inländische Arbeitskräfte einen Startvorteil erhalten. Wird das Regelwerk allerdings buchstabengetreu angewendet, ist der Aufwand für die Unternehmen beträchtlich.
Die Ausschreibung auf der kantonalen Stellenplattform ist dabei nur der Anfang. Die Betriebe sind auch dazu verpflichtet, von den Arbeitsämtern und von Stellensuchenden Dossiers entgegenzunehmen. Zudem sind sie angehalten, geeignete Kandidaten zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen und dem Amt schliesslich auch noch eine Rückmeldung zu den Bewerbern zu geben.
Das alles müssen sie auch für eine Stelle tun, von der die Betriebe schon von Anfang an wissen, dass sie sie letztlich anderweitig besetzen werden. Dazu gehören unter anderem Saisonstellen in der Landwirtschaft.
Viele Landwirte engagieren Jahr für Jahr für ein paar Wochen die gleichen Erntehelfer aus dem Ausland, etwa aus Polen, Portugal, Ungarn und der Slowakei. Idealerweise werden die Verträge für die neue Saison gleich am Ende der alten abgeschlossen.
Doch wegen der Stellenmeldepflicht geht das nicht mehr. Die Arbeitslosigkeit liegt bei den landwirtschaftlichen Hilfskräften über dem Schwellenwert von fünf Prozent, deswegen müssen ihre Stellen zwingend zuerst auf der kantonalen Plattform publiziert werden.
Für die Landwirtschaft ist das ein Leerlauf, denn die Arbeitsbedingungen sind so ausgestaltet, dass sich kaum je Schweizer Arbeitslose bewerben werden: Die Wochenarbeitszeit für Erntehelfer beträgt 55 Stunden, der Richtlohn liegt bei rund 3300 Franken monatlich.
Das ist für ausländische Arbeiter vergleichsweise viel; der Minimallohn in Polen liegt bei nur etwa 650 Euro im Monat. Schweizer Arbeitslose hingegen finden in anderen Branchen besser bezahlte Stellen.
Doch Gesetz ist Gesetz. Eine Ausnahme von der Meldepflicht für Saisonstellen ist ausdrücklich nicht vorgesehen. Eine solche Sonderregel würde dem Sinn und Zweck der Meldepflicht widersprechen, schrieb der Bundesrat in einer Antwort auf eine entsprechende Anfrage im Parlament.
Publikation auf «Nein» gestellt
Doch was wäre, wenn wenigstens die Prozesse vereinfacht würden? Genau dies hat das Stellenmeldezentrum des Kantons Zürich (SMZ) versucht.
Seit die Stellenmeldepflicht vor vier Jahren eingeführt wurde, hat das SMZ mit verschiedenen Unternehmen und Organisationen im Kanton Abmachungen getroffen, so unter anderem mit dem Zürcher Bauernverband.
Die Vereinbarung funktioniert so: Die Bauernbetriebe geben ihre Saisonstellen zwar wie verlangt in das Online-System ein, sie kommen der Meldepflicht grundsätzlich also nach.
Im Anschluss fragen die Sachbearbeiter des SMZ beim Hof nach, wie der Eintrag zu verstehen sei: Suchen sie tatsächlich jemanden oder nicht? Es sei «zwingend mit dem Arbeitgeber telefonisch abzuklären, ob er offen ist für Stellensuchende», heisst es in der Abmachung wörtlich.
Erhält das SMZ die Rückmeldung, dass der Betrieb keine Bewerber will, müssen die kantonalen Angestellten im Computersystem einen Vermittlungsstopp erfassen, die Publikation auf «Nein» stellen und die Stelle nach Ablauf der Sperrfrist abmelden – mit dem Bearbeitungsstand «keine geeigneten Kandidaten».
Die Absicht hinter dem Vorgehen ist verständlich: Sowohl für den Betrieb als auch für das SMZ sollen sich die Umtriebe in Grenzen halten. Wenn offensichtlich ist, dass ein grosser Gemüsebetrieb sowieso wieder seine Saisonhelfer vom letzten Jahr engagieren wird, soll der Chef nicht noch mit Dossiers von Schweizer Stellensuchenden eingedeckt werden, die sicher nicht berücksichtigt werden.
Kanton: «Keine Umgehung der Meldepflicht»
Der Prozess wirkt einfach und unbürokratisch – rechtlich aber ist er problematisch, jedenfalls nach Ansicht des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco). Es hat die Aufsicht über die Umsetzung der Stellenmeldepflicht in den Kantonen.
Das Seco beurteilt die Abmachungen zwischen dem Kanton Zürich und den Unternehmen kritisch. Die Vorgehensweise scheine nicht im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften zu stehen und wäre zu prüfen, sagt der Seco-Mediensprecher Fabian Maienfisch.
Beim Kanton Zürich sieht man das anders. «Solche Abmachungen sind aus unserer Sicht rechtlich zulässig und keine Umgehung der Stellenmeldepflicht», sagt Nico Menzato, Sprecher der Volkswirtschaftsdirektion.
Zu den Unternehmen, mit denen es eine Vereinbarung gibt, gehört auch eine grosse Reinigungsfirma. Dies geht aus einer Präsentation von Anfang 2022 hervor. Damals trafen sich Vertreter des Betriebs und des Kantons zu einem Austausch. Es ging ebenfalls um die zentrale Frage, wie die Firma dem Stellenmeldezentrum mitteilen kann, ob ein Job tatsächlich verfügbar ist oder nicht.
Die Lösung liegt in einer Ortsangabe bei der Stellenausschreibung: Schreibt das Unternehmen im Online-Formular im Feld «Arbeitsort», die Stelle liege im «Raum Zürich», dann bedeutet dies, dass die «Stelle bereits besetzt ist», wie es in der Abmachung heisst. Gibt das Unternehmen hingegen einen konkreten Einsatzort an, etwa «8055 Zürich», «dann sind sie offen für Vorschläge und prüfen diese auch».
Auch in diesem Fall ist der Zürcher Amtsstelle also bewusst, dass offensichtlich Stellen ausgeschrieben werden, die in der Realität schon vergeben sind. Die Volkswirtschaftsdirektion meint dazu, dass das Unternehmen die Stellenmeldepflicht durch die Ausschreibung auf der Plattform einhalte, sagt der Mediensprecher Nico Menzato.
Es widerspreche auch nicht dem Sinn und dem Geist der Stellenmeldepflicht, wenn ein Betrieb zwar eine Stelle ausschreibe, aber gar nicht offen sei für Bewerbungen. Stellensuchende könnten sich ja trotzdem bewerben, und ein Unternehmen könne jederzeit einen Entscheid zugunsten einer solchen Bewerbung fällen.
Das Seco hingegen setzt hier ebenfalls Fragezeichen und antwortet mit dem gleichen Satz wie zuvor bei den Bauern: Diese Vorgehensweise scheine «nicht im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften zu stehen und wäre zu prüfen».
Die Phantom-Arbeitslosen in der Gastronomie
In der Politik und der Wirtschaft ist die Meldepflicht umstritten. Studien haben nachgewiesen, dass es kaum messbare Effekte auf den Arbeitsmarkt und die Zuwanderung gibt. Unternehmen beklagen den hohen bürokratischen Aufwand.
Ausserdem ist das System starr. Dies zeigt sich gerade auch an der Liste der meldepflichtigen Berufe. Die aktuelle Tabelle beruht auf den Arbeitslosenzahlen von Oktober 2020 bis September 2021, also auf Werten aus der Zeit der Pandemie und der Betriebsschliessungen.
Diese grosse zeitliche Verzögerung führt zu skurrilen Einschätzungen. So sollen gemäss der Liste angeblich auch Servicefachkräfte und Köche von besonders hoher Arbeitslosigkeit betroffen sein – ihre Stellen sind meldepflichtig.
Dass die Realität im Sommer 2022 eine ganz andere ist und die Gastronomie händeringend nach Personal sucht, interessiert den Bund nicht. Die Liste wird nur einmal pro Jahr aktualisiert.

Kanton: «Seco toleriert das.» Seco: «Wir wissen von nichts.»
Die Zürcher Volkswirtschaftsdirektion sagt, dass es grundsätzlich darum gehe, die Stellenmeldepflicht möglichst pragmatisch, schlank und effizient anzuwenden. Die Umsetzung sei an mehreren Sitzungen mit Vertretern des Seco «thematisiert und so toleriert» worden, sagt der Mediensprecher Nico Menzato.
Beim Seco tönt es anders: Man habe keine Kenntnis einer Abmachung zwischen kantonalen Behörden und Arbeitgebern.
Die Kantone dürften in dieser Sache demnächst Post vom Seco erhalten. Man werde sie, sagt Maienfisch, darüber informieren, dass «Abmachungen mit Unternehmen, die dem gesetzlichen Rahmen nicht voll und ganz Rechnung tragen», nicht gesetzeskonform seien und daher nicht abgeschlossen werden dürften. Für schlanke Lösungen wie in Zürich könnte es also möglicherweise eng werden.
Vielleicht wird die Stellenmeldepflicht aber bald auf der politischen Ebene etwas entschärft werden: Im Bundesparlament ist ein Vorstoss hängig, wonach nur noch Berufe mit einer Arbeitslosenquote von über acht Prozent auf die Liste kommen sollen. Von den rund vierzig Berufen, die heute meldepflichtig sind, würden damit mehr als die Hälfte wegfallen.
Quelle: https://www.nzz.ch